[Squeak-ev] Re: SqueakInf11-Schlager Anmerkungen

Rita Freudenberg rita at isg.cs.uni-magdeburg.de
Die Mar 13 08:45:33 UTC 2007


stepken wrote:
>
>> Der Grund, warum ich auf Smalltalk gestoßen bin, sind zwar die eToys,
>> aber die sind in der Unterstufe relevant. Dort lernen die Schüler (bei
>> mir mittlerweile mit Scratch) die Grundstrukturen imperativer Programme.
>> In Klasse 10 soll dann das objektorientierte Paradigma im Mittelpunkt
>> stehen, und Squeak bietet in meinen Augen die schöne Möglichkeit, hier
>> das Innenleben des aus der Unterstufe vertrauten Werkzeugs zu erkunden.
>> Deshalb probiere ich das dieses Jahr aus.
>>
>>   
> Achgottchen... erst imperative Programmierung und dann OO? Völlig 
> falsche Reihenfolge, aus didaktischer Sicht, das versaut die 
> Denkstrukturen.
>
> Z.B. werden zu Beginn immer Scheifen programmiert. Wozu gibt es das
>
> "foreach element in liste von Objekten machmalwasdamit ..." ... 
> Iteratoren, wie in Squeak ETOYS auch. Du hast wegen Schleifen 
> konstrukten Scratch eingeführt. Nur - man braucht sie einfach nicht, 
> sie sind auch in OO-Programmierung unbedingt zu vermeiden ... Ich 
> brauche mir nur OO-Code anzuschauen, und wenn ich da irgendwelche 
> Zähl-Schleifen drin finde, weiß ich - Der Mensch hat OO überhaupt 
> nicht verstanden - ein Grund, ihn/sie aus dem Team zu schmeißen ...

Ja, das mag in Entwicklerteams so funktionieren. Ich weiß ja nicht, wie 
viel Erfahrung du mit dem deutschen Bildungssystem hast, aber es gibt 
Rahmenrichtlinien, an die sich der Lehrer halten muss und die in jedem 
Bundesland wieder anders sind. Du magst ja recht haben mit deinen 
Ausführungen und das ist nicht die reine Smalltalk-Lehre, es geht ja 
nicht darum, die Schüler alle zu Programmierern zu machen. Die 
Reihenfolge, in der Stoff behandelt wird, ist in den Rahmenrichtlinien 
festgelegt (also, dass z.B. zuerst die Grundstrukturen drankommen). Und 
das ist auch nichts Negatives. Hast du mal das Buch von Stephane Ducasse 
(Squeak Learning Programming with Robots) gelesen? Er führt da auch 
wunderbar diese Grundstrukturen ein und das ist einfach etwas, was 
Schüler in diesem Alter erfassen und verstehen können. Das ist doch der 
Zweck der Programmiersprache im Unterricht, die Dinge, die man 
programmiert, zu verstehen. 
> Unterrichtlicher Kontext:
>>
>> Das große Thema in den vier Unterrichtsjahren heißt Modellierung unter
>> objektorientierten Vorzeichen. Was die Schüler lernen sollen, ist
>> übersichtliche und strukturierte Darstellung von 'Information'. Kurz
>> gesagt, ist das wichtigste der Umgang mit verschiedenen Formen von
>> Diagrammen und die Erkenntnis, daß diese ein richtig wertvolles Vehikel
>> sind. Alles was mit Rechnern zu tun hat (also z.B auch das 
>> Programmieren)
>> ist ein *Neben*produkt des Unterrichts.
>>   
> Wo sind da die Erfolgserlebnisse?
>> Immer vorausgesetzt, daß die Schüler überhaupt qualifiziertes
>> Lehrpersonal haben, lernen sie:
>>
>> 6. Klasse (bislang 10. Klasse):
>>
>> Klassen und Objekte. Dazu gehört ganz massiv (vereinfachtes) UML, an 
>> sich
>> auch Datenkapselung (wie von Dir angesprochen) und das
>> Nachrichtenkonzept). Umgesetzt wird das (in meinen Augen eher
>> ungeeigneterweise) mit Vektorgraphiken, Textdokumenten, Präsentationen
>> und Hypertext.
>>
>>   
> Geht alles mit Squeak ... Textverarbeitung, wo die Buchstaben sogar 
> einen selbstgemalten Wasserfall herunterfließen ... Präsentationen? -> 
> Schau Dir mal in OPLC 1111 + Updates den Ereignisrecorder oder

Ich finde schon, dass Schüler auch mit herkömmlichen 
Textverarbeitungssystemen umgehen können sollten. Glücklicherweise heißt 
das nicht mehr unbedingt, dass alle Word lernen, sondern bei guten 
Lehrern schon, dass man die Grundprinzipien lernt und dann auch recht 
schnell ein neues System bedienen kann.
>> 7. Klasse (im Moment eben auch 11. Klasse):
>>
>> Ablaufmodellierung, insbesondere die klassischen imperativen Strukturen.
>>   
> Ich würde mich weigern, so etwas überhaupt noch zu unterrichten ...
>> Im Prinzip z.B. eine Sache für eToys, denen bislang aber die Schleifen
>> fehlten.
> dank Iteratoren ist nix mehr mit Schleifen. Gottseidank!
>>  Scratch paßt hier wie die Faust aufs Auge.
> Es passt auf Deine mentalen Modelle, Deine Denkstrukturen. Nur - Deine 
> Schüler werden versaut mit veralteten Denkweisen ... das hat keine 
> Zukunft ...
Du urteilst ganz schön hart. Das mag aus deiner Sicht ja alles stimmen, 
aber im Schulsystem kann man nicht machen, was man will, selbst wenn man 
davon überzeugt ist, recht zu haben. Veränderungen erreicht man nur 
schrittweise, frag mal die Leute, die das seit Jahren versuchen!  Man 
muss sich da mit Beamten auseinandersetzen, die den Kern des Problems 
gar nicht erfassen. Es wird an verschiedenen Stellen versucht, Smalltalk 
und Squeak in die Schulen zu bringen und das ist eine Sysiphos-Arbeit. 
Es ist ein Wunder, dass noch nicht alle aufgegeben haben. Wenn man dann 
noch kommt und alles umwerfen will, weil es veraltet ist und keine 
Zukunft hat, braucht man entweder einen Schulleiter, der einem freie 
Hand lässt (was wohl kaum vorkommen dürfte), oder eine Privatschule, in 
der man sich zwar auch an die Vorgaben der Rahmenrichtlinien halten 
muss, aber viel mehr Gestaltungsspielraum hat oder man kann gleich 
einpacken. Also versucht man es "durch die Hintertür", orientiert sich 
an den Vorgaben und benutzt alternative Software.
>>  Von der Modellierung
>> her propagieren die Schulbücher an dieser Stelle Struktogramme - ich
>> selber finde Flußdiagramme 'besser'.
>>   
> Typisch für Menschen, die OO noch nicht so verinnerlicht haben ... 
> Ereignisse (Events) Nachrichten, Methoden .... wie willst Du das mit 
> Flußdiagrammen überhaupt darstellen?
Ich weiß es aus eigener leidvoller Erfahrung, wie lange es dauert, ehe 
man das verinnerlicht hat, ich bin noch nicht an dem Punkt, dass ich 
sagen würde, ich habe es vollkommen verstanden. Und so geht es natürlich 
jedem Lehrer. Das ist für mich das Hauptproblem, zu vermitteln, was das 
Besondere an Squeak und Smalltalk ist, eben weil es so anders ist als 
alle anderen Sprachen und Werkzeuge. Es wird als "Spielzeug" abgetan, 
egal ob ich Etoys oder Botsinc mache.
Und dann  geht es in der Schule eben nicht nur um die eine 
Programmiersprache, sondern um Modellierung, da hilft eine Vielfalt, um 
abstrahieren zu lernen.
>> 9. Klasse (ab 2007/8):
>>
>> Datenflüsse und Datenmodellierung, insbes. auch ER-Modell und 
>> Datenbanken
>>   
> Auweia. Entity-Relationship - Diagramme ... bei OO-Datenbanken, siehe 
> Magma völlig überflüssig ...
Ja, schön, wenn du denn OO-Datenbanken nimmst. Du kannst aber nicht auf 
einen Schlag alles Bekannte abschaffen und durch komplett Neues 
ersetzen. Er-Diagramme sind wieder eine Methode, Zusammenhänge zu 
veranschaulichen und was ein Schüler z.B. dabei lernt, ist Modellierung.
Noch ein bisschen Kontext: ich unterrichte Lehrer (berufsbegleitend) an 
der Uni, habe es geschafft, dass sie auch Squeak-Etoys kennen lernen und 
einige setzen es sogar im Unterricht ein. Ich habe auch schon selbst 
Schülerkurse mit Etoys gemacht. Selbst bin ich Informatikerin und 
befasse mich seit einiger Zeit etwas mit Informatik-Didaktik.

Viele Grüße,
Rita