[Squeak-ev] Etoys/Squeak vs. Scratch (Diskussionsbeitrag von Ralf Romeike)

Guido Stepken gstepken at googlemail.com
Fre Nov 5 16:35:54 UTC 2010


Markus Schlager schrieb:
> Das ist genau der Weg, den wir bei uns bestreiten:
>
> 7. Klasse, einstündig:   Ablaufmodellierung mit Scratch
Auf dem Treffen beim HPI hat Jens Mönig den Nachfolger von Scratch 
vorgestellt.

Vorteil: Das didaktisch sehr wertvolle Prinzip der vorgeformten 
verschiebbaren, wie Lego ineinander greifenden Logikkacheln hat er auf 
ganz Smalltalk ausgeweitet.
Also nicht nur, dass man in Scratch nun - was ja auf der Idee von Etoys 
mit seinen Logikkacheln basiert - in einer eigenen 
Grafikprogrammiersprache durch schubsen von Kacheln neue Algorithmen 
generieren kann, sondern er hat das komplette, darunterliegende 
Smalltalk in Logikkacheln überführt, die man hin- und her- schubsen kann.
Diese "Zusatz-GUI" hat er "Elements" genannt.". Sie müsste eigentlich 
leicht auf jeden Smalltalk Dialekt übertragbar sein, der auf einem alten 
Squeak basiert. (Pharo, ...)

Für mich war das Programmieren wie von einem anderen Stern. (und das 
nach 21 Programmiersprachen, die ich inzwischen so gelernt habe).

Das Besondere:

Normalerweise kann man in Etoys oder Scratch keine Funktionen 
definieren, ohne in den Quellcode eingreifen zu müssen. Das ist häßlich, 
weil man das Konzept des Herumschubsens der Kacheln verlassen muss. Also 
didaktisch gesehen ein Bruch. Jens hat es geschafft, dass man auch 
Funktionen jeder Art, z.B. auch anonyme Funktionen als sog. "first class 
objects" behandeln und als Logikkacheln schubsen kann.

So kann man z.B. als Lehrer unter Scratch mit den Kiddies - ohne 
überhaupt die Scratch - typische GUI verlassen zu müssen, Mandelbrot 
Fraktale auf den Bildschirm zaubern.

In den Logikkacheln von Scratch stecken ja unsichtbar eine Vielzahl von 
impliziten, verborgenen Logiken, die der Anwender nicht sieht, von denen 
er nichts ahnt.

Wenn ich aber will, kann ich mir genau diese impliziten Logiken der 
Logikkacheln selber als Logikkacheln wiederum anzeigen lassen. Jens 
Mönig hat es geschafft, die Programmiersprache Smalltalk selber als 
System aus Logikkacheln erscheinen zu lassen, wobei der Übergang zur 
grafischen "Kunstsprache" Scratch fliessend wird.

Das Konzept der Logikkacheln ist also selber zu einem "general purpose 
system" geworden, mit dem sich alles programmieren lässt. Sogar kann man 
mit Jens' System selber neue Logikkacheln erzeugen, ohne die GUI und das 
Konzept der Logikkacheln verlassen zu müssen.

Ich kann also jede Abstraktionsebene in Smalltalk nun mit Schubsen von 
Logikkacheln bewältigen. Nun auch die unterste, Ebene, also den 
Smalltalk Code selber.

Dahinter steckt schon eine ganz erhebliche Denkleistung, die logischen 
Elemente der Programmiersprache Smalltalk mit den Logikkacheln von 
Scratch so nahtlos zu verbinden. Eine Denkleistung, die vor ihm, denke 
ich, keiner der Freaks aus der Informatik je geschafft hat.

Insgesamt eine sehr, sehr beachtliche, eine großartige, philosophische 
Denkleistung. Angewandte Modelltheorie pur. Da musste wohl erst ein 
Jurist ankommen, um den Informatikern zu zeigen, wo der Hammer hängt.

Dieses System ist nun unter dem Namen "Build Your Own Blog" ("BYOB" - 
für Google) frei downloadbar.

Have fun, Guido Stepken